Gedichte von Liebe, Tod und den Lappalien dazwischen - Dietrich Pietsch Fotografie und Lyrik

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Gedichte von Liebe, Tod und den Lappalien dazwischen
Momentaufnahme

Auch der Sommer
taut das Haus nicht auf
In den Wänden verharrt die Kälte
Keiner pflückt mehr die Blumen
von den gefrorenen Scheiben
und im Zimmer klirrt es
wenn die Leere zufällig
vertraute Dinge berührt
Die Wärme eines einzigen
Menschen hätte genügt



***


Wintermorgen
 
Im Fenster
gläserne Zweige
gerahmt
von unmündigem Licht
verführt
strecken sie ihre Finger
ins Leere
suchend
wie meine
auf weißem Laken
nach einem Rest
Wärme
von dir



***
 



November
 
Unter der Last
des Nebels
stolpert der Tag
über den See davon
und vor meinem Gesicht
hängt im erfrorenen Grau
dein Atem
Starr steht das Schilf
und still
Nur meine Hände
flattern
wie zwei Vögel
in deiner Manteltasche
Komm
Gib mir den Sommer zurück




***


Letzter Kuss

Auf weißen Laken
dein Gesicht so blass,
der Blick so fern. -
Vermeng der dunklen Mächte Klang
mit der Erinnerung an eines Vogels Sang.
Nur diesen Kuss noch
auf den letzten Weg,
dann lass uns mit den Möwen
zu fernen Ufern ziehen -
dem Ich entfliehen.



***
 



Morgens

Am Spülsaum des Schlafs
streife ich dir
das Traumkleid
vom Körper
und bedecke dich
mit meinem Atem
bis deine Finger
Wind säen
auf meiner Haut und
im andrängenden Licht
die Nacht
im Sturm
aus den Angeln bricht



***



Ganz still
 
Der Tod ist ins Zimmer getreten,
ohne an der Tür zu klopfen;
durch das halboffene Fenster
ist er hereingeglitten;
er hat kein Buch
aus dem Regal geworfen,
die Wanduhr nicht angehalten,
keine Gläser im Schrank
zum Klirren gebracht.

Ganz still
ist er aufgetaucht
und ich habe Schutz gesucht
in deinen verwirrten Augen,
in deiner kraftlosen Hand
unter dem weißen Laken.

Der Tod hat sich zu uns gesetzt
und ich habe ihm zwischen den Rippen
etwas Platz gemacht -
nicht weit vom Herzen,
wo noch der Klang deiner Lieder
nachhallt und sich vermengt
mit dem heftigen Pochen
meines Herzschlags.
 

***




Mit dem Wind

Vor meinem Fenster
hockt stumm die Nacht
für einen Augenblick nur
spiegelt sich
im Glas der Scheibe
dein Gesicht
so weich so blass
und doch unendlich fern
schon reißt der Wind
es mit sich fort
im Dämmerlicht
an einen kältren Ort
 
Ein Vogel
möchte ich sein
dir folgen mit dem Wind
Seit an Seite mit dir fliegen
weit übers Feld hinaus
bis zu den Sternen
als flögen wir nach Haus




***





Was bleibt
 
Die Nacht schaut herab
wie eine Diebin
nach getaner Arbeit
Sie setzt sich an den Küchentisch
und unterhält sich mit der Leere
Ich denke sagt sie
und zündet sich
noch eine Zigarette an
dass ich nichts vergessen habe
hab alles eingepackt
was von Bedeutung ist
Sie blickt sich um und
scheint mit sich zufrieden
Nur eins lass ich zurück:
die Trauer -
selbst ich
gesteht sie mit Bedauern
hätt´ schwer an ihr zu tragen



***
 

Abschied

Die Nacht hatte sich bereits
in die Hauseingänge verkrochen
und sie standen noch immer vor dem Hotel
Ihr Gesicht eine blasse Insel
im zuckenden Licht der Neonröhre
Er hob die Hand
als wollte er ihre Wange berühren
eine Andeutung – nicht mehr
Sie lächelten sich bekümmert an
und gingen auseinander
ein jeder
mit den Sünden des anderen
auf den Schultern



***
 


Das Gesicht
 
Wenn die Nacht sich mühsam
von Raum zu Raum schleppt,
strecke ich die Hand ins Leere
und lasse dein Gesicht
sacht von unserer Brücke
in den Fluss gleiten.
  
Mag es fortfließen
mit den Stimmen der Wellen
zu den verborgenen Meeren,
die nach Salz riechen
und nicht nach unserer Not.



***



Nächtliche Momentaufnahme

Über dem See leuchten
die Kontinente des Himmels.

Wir rücken zusammen,
wo der Steg ans All gelehnt,
sehen Sterne sich lösen,
Sternschnuppen
den Himmel durchstreifen
und ahnen,
dass ihr Fallen
im unermesslichen Ganzen
dem unseren gleicht.
 
Sternbildfern streicheln wir
uns unsere Einsamkeit
und tauchen tief
in die Stille hinein.



***
 



Für eine Nacht nur

Mit dir reisen
im sanften Pochen
deines Pulsschlags.

Deinen Händen folgen,
die so viele Geschichten
in mein Gesicht schreiben.
 
Der Spur der Fingerkuppen folgen,
ihren verschlungenen Wegen
durch das Honigwabenlabyrinth.
 
Und ankommen
in dem dreieckigen Land,
aus dem kein Kiesel,
kein Silberfaden
uns den Rückweg zeigt.
 
Für eine Nacht nur
der Zeit
den kalten Atem nehmen.



 
***




Ruine
 
Unter diesem Himmel
aus Blau und Grün
flatterten Gedanken
wie Vögel,
sprangen Worte
von Ast zu Ast
und die Gespräche
legten helle Spuren
in das zitternde Laub.
 
Doch jetzt,
da das Licht
sich entschuldigt
im Schatten
vernarbter Steine,
spricht nur Blatt mit Blatt
und der Wind
treibt den wilden Duft
der Vergangenheit
über die Mauern.



***



Erste Flamme

Am Spülsaum
der Zeit
Träume
wie Treibholz
gerundet
vom Geröll der Jahre
verströmen
im Feuer
der Erinnerung
noch einmal
den harzigen Duft
der Melancholie



***



Entschlüsselung

Am Horizont
döst die Sonne;
auf dem Steg hocken
still die Möwen
und Wasserspinnen kritzeln
unverständliche Hieroglyphen
auf den Spiegel des Sees.

Du streckst deine Füße
ins Wasser und wartest gelassen
wie die reglosen Möwen
auf das sinkende Licht,
denn um mich zu entziffern,
braucht es nichts
als die langsame Zärtlichkeit
deiner Hände.




***




Abendrot

Am roten Himmel
kreisen zwei Vögel
still und einsam
über erhitztem Land.
 
Den ganzen Tag
kämpfte die Sonne
mit glühenden Lanzen
gegen die Erde
und als sie nachgab,
stach sie in ihr Herz,
sammelte ihr Blut
in einer Schale
und vergoss es
verschwenderisch
über dem Abendhimmel.
 
Still liegt nun die Erde
eingehüllt
in ihrem traurigen Schatten,
ihre blinden Augen
zum roten Himmel gewandt
und den ruhelos suchenden Vögeln.



***



Brandstiftung II

Züngelnd
Feuer
ans Ohr
gelegt
Brandsätze
auf wehrlosem Hals
springen über
sengende Finger
in tiefste Haut
und wieder
steht
lodernd
die Nacht
in Flammen




***






Déjà-vu

Komm näher,
wie einst
im Dunkeln
schnellen Schritts
auf spiegelnasser Straße.
Wie lang ist's her?
Die Möwen kreisten
über uns zerzaust
im Wind
und ihr Geschrei
wog hoch im Himmel
hin und her.
Schon spür im Wind
ich deine Hand -
allein dein Spiegelbild
im Nass der Straße
trägt eilends
mir die Nacht davon,
den Möwen nach,
weit übers Meer hinaus.
Nach uns ist Stille,
die aus tausend Spiegeln
Nacht für Nacht
zum Himmel schreit.




***





Nicht einmal der Apfelbaum

In meiner Hand
eine Handvoll Blumen,
deren Namen ich nicht kenne.
Wie rotfedrige Vögel
saßen sie im Schatten
des Apfelbaums.
Neben dem Bild
auf der Kommode
ein anderer Strauß,
den ich vor Tagen
dort hinstellte.
Doch niemand fragte danach,
noch nicht einmal
der Apfelbaum,
der behauptet,
mich zu kennen.




***




Die Dinge sterben

Die Dinge sterben
wenn der Geruch der Haut
verfliegt
wenn das Lied in der Kehle
verstummt
und wenn das Lächeln
auf den Lippen
verwelkt

Die Dinge sterben
wenn die Bilder an Farbe
verlieren
verblassen
verschwimmen
ausfransen an den Rändern
weil man sie so oft
hervorgekramt hat
aus der Erinnerung
 
Du stirbst,
wenn du nicht mehr siehst
wie die Möwen
ihr Lachen in den Himmel
schreiben
 
wenn du nicht hinsiehst
 
Du stirbst
stirbst auf die Art
die niemand bemerkt



***




Stille
 
Dämmerlicht sickert
durch welke Blätter;
schon schließt der Tag
sein müdes Lid.
 
Er sitzt auf der Bank
unter dem Baum,
eingehüllt vom Geruch
regenfeuchter Erde.
 
Sie setzt sich neben ihn,
berührt seinen Handrücken,
auf dem sich die Adern
wie Flüsse verzweigen –
blaue Flüsse,
die sich mit ihren vereinen,
Hand in Hand
fortfließen
und sich hinter der Sonne
in die Stille ergießen.



***


Selbstfindung

Von den vielen
die ich bin
kenne ich
die wenigsten
manche nur flüchtig
als ich heute Morgen
in den Spiegel blickte
sagte einer
dich kenn ich doch
er wirkte
ratlos und müde
ich wollte
nicht lieblos sein
und rasierte ihn
pass auf
sagte er
dass du dich
nicht verlierst
zwischen den Welten


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